Spielwiese // Projekt: Ein Text für jeden Tag

Braucht die Welt einen weiteren Blog? Höchstvermutlich nicht.

Aber vielleicht braucht dieser Blog ja die Welt. Deswegen gibt es ihn. Für Texte, Wortspielereien, Poetisches und Prosaisches, Blödsinn, Neuschöpfungen, Fundstücke, Blödeleien, Kritisches, Ernsthaftes, Witziges, Fragmentarisches, Wichtiges und Überflüssiges, Sinn und Unsinn.
Aus Spaß am Wort, an der Sprache und an der Freude.
Was sie oder er davon ernst nehmen möchte, entscheide jede/r für sich selbst.

Aktuell gibt es hier im November 2019 Beiträge zum Lyrimo: Jeden Tag ein (lyrischer) Text zu einem inhaltlichen oder formalen Impuls von https://lyrimo.wordpress.com, nachzulesen auch unter dem Hashtag #lyrimo auf Twitter.

In diesem Sinne: Frohes Lesen, frohes Schreiben!


Elfchen

Nebelschwaden
singen Morgenlieder
in gedämpften Tönen
Und ich tanze den
Novemberblues.

 

#lyrimo Nr. 7: Elfchen.
Mehr unter lyrimo.wordpress.com

 

 

Sonderfahrt

Die Türen schließen sich
Kein Fahrgast weit und breit
Ein letztes Mal
Verlässt die Nr. 78 ihr Depot
Der Lautsprecher knistert:
Ausstieg in Fahrtrichtung links
Kein Reisender hört es
Kein Mensch betritt das leere Abteil
Die Türen öffnen
Und schließen sich
Vergebens
Ein letztes Mal
Flackert müde das Schild:
Wagen hält
Doch er hält nicht
Die Nr. 78
Schlängelt sich durch Häuserschluchten
Lässt Haltestelle für Haltestelle
Die Großstadt hinter sich
Es kümmern sie keine Schienen mehr
Straßen weichen Wiesen
Wiesen weichen Wäldern
Fern vom Gewohnten
Fern vom Gewussten
Keiner winkt ihr Lebewohl
Der Tag neigt sich dem Ende
Die Lichter der Nr. 78
Verlieren sich im Nebel
Jenseits der Stadt
Ins Niegekannte
Ins Niegesuchte
 

Bildimpuls zum #lyrimo am 5. November:

Mehr zu lesen hier

„…das Große beginnt im Kleinen“

Aus einem Schritt eine Reise

Aus einem Tropfen ein Meer

Aus einer Begegnung ein Leben

Aus einer Umarmung ein Tanz

Aus einem Strich ein Gemälde

Aus einem Kuss eine Nacht

Aus einer Nacht eine Liebe

Aus einer Idee ein Gedicht

Aus einer Hoffnung ein Wunder

Aus einem Windhauch ein Sturm

Aus einem Traum ein Begehren

Aus einem Samen ein Baum

Aus einem Anfang ein Ende

Aus einem Wort eine Welt

 

#lyrimo-Impuls Nr. 4: „…das Große beginnt im Kleinen“.

Alle weiteren Texte findet ihr unter https://lyrimo.wordpress.com/

Ganz im Vertrauen

Ich vertrau dir mein Wort an.

Gib gut darauf acht.

Es ist mein letztes.

 


 

Ein Wort,

ganz im Vertrauen gesagt,

wandert weit.

 

#lyrimo-Impuls Nr. 3: „Ganz im Vertrauen“

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Und als der Nebel sich lichtete

Und als der Nebel sich lichtete

atmete die Welt tief durch

Von seinem Schleier befreit

wusste der Morgen plötzlich wieder

wer er ist

Und das Licht hatte

vorerst

das letzte Wort.

 

#lyrimo Nr. 2: „Und als der Nebel sich lichtete …“

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Nur Worte

Für den Dichter, dessen Worte mir eine Welt waren.

 


 

Es waren niemals nur Worte.

Es war ein Bodenloses, das plötzlich sich auftat,

Schon immer da gewesen unter mir

Und niemals gesehen.

 

Die Worte taten den Abgrund mir auf;

Die Worte hielten mich, damit ich nicht fiel.

Und den Abgrund in mir

Fassten sie sanft

 

Und betteten ihn zwischen Wurzeln und Licht.

Sie gaben mir Halt, wo kein Halt war,

Waren mir Abschied und Willkommen zugleich.

Es waren niemals nur Worte.

 

#Lyrimo Impuls 1: „Ein Gedicht zu Ehren …“

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Herbstabendgrün

Ein Grün

so golden wie sonst

niemals ein Grün

Flüssiges Gold über

saftige Wiesen geschüttet

In der Spätsommerwärme, die aus

Abendwolken fließt

tanzen Millionen Mücken

eh bald schon

das Abendgrün

den Nachtschatten weicht

 

#lyrimo-Impuls Nr. 6: „Abendgrün“

Alle weiteren Texte findet ihr unter https://lyrimo.wordpress.com/

Odysseus, Eurydike

Komm, nimm mich bei der Hand und dann gehen wir, ganz weit und immer weiter, bis ans Meer und darüber hinaus, wir laufen einfach immer weiter, bis es nicht mehr geht, und wenn es nicht mehr geht, dann gehen wir einfach trotzdem weiter, bis wir irgendwo ankommen, und wenn wir nirgends ankommen, auch gut, dann laufen wir eben, es macht nichts, es macht alles nichts, Hauptsache weiter, wir bleiben nicht stehen, und wenn wir Spuren hinterlassen, was macht das schon?
Vielleicht folgt uns ja jemand, tritt in unsere Fußstapfen, geht unseren Weg ein Stück, bemerkt nicht, dass es nicht seiner ist, sondern unserer, unser Weg, unser Hinweg, unser Hin-und-weg, unser weg, weg wovon? Hauptsache Weg. Hauptsache gehen, Hauptsache weiter, Hauptsache voran, vorwärts, geradeaus, der Nase nach, durch den Sand.
Vielleicht finden wir ja auch irgendwo Spuren und folgen ihnen. Wo mögen wir landen? Am Horizont eines anderen, mitten im Leben eines anderen. Und dann stehen wir unvermittelt vor seiner Tür und klopfen an, aber keiner antwortet, und dann merken wir: Die Tür ist offen, und wir treten ein, Ist hier jemand? Aber niemand antwortet, alles ist leer, adrett eingerichtet, aber die schönen alten Möbel sind von Staub überzogen, in diesem Leben war lange niemand mehr, auch auf dem Sofa hat lange niemand mehr gesessen, es ist schon ganz steif, und der Überwurf bröselt, als wir ihn aufschütteln. Aber was macht das schon? Es ist schön hier, schön hell, ein bisschen staubig vielleicht, aber schön. Hier bleiben wir. Oder? Bleiben. Bleiben. Blei-ben. Blei. Schwer. Nein, wir können nicht bleiben, wir müssen weiter, immer weiter, zu neuen Ufern, neue Wege gehen, Wege, die unsere Leben, die unsere sind müssen wir finden und gehen und leben, weiter also, immer und immer weiter, und alle Grenzen, auf die wir treffen, rennen wir einfach nieder oder springen darüber hinweg, was hindert uns denn? Nichts doch, weiter, die Grenzen rennen wir nieder und über die Tretminen springen wir hinweg, und wenn wir die Welt dabei im Rücken haben, wen schert es denn?
Und manchmal spült das Meer Treibgut an den Strand, Äste von Treibholz, die uns stolpern machen, und hin und wieder ein Relikt aus einem fremden Leben, wollten wir das alles nicht hinter uns lassen? Ach, was kümmert es uns, wir stolpern darüber hinweg und laufen, während neben uns die Sonne, ganz der Romantik verpflichtet, im Meer versinkt. Der Tag geht zünde und wir, wo enden wir? Jetzt spült die Brandung eine Frage an Land, die große Frage, WOHIN? Quo vadis, Wandernder, Rennender, flüchtest du vor etwas, dass du so rennst immerzu? Wovor fliehst du? Komm, halte inne, mach mal eine Pause und komm zu mir, lass das Rennen und lege dich ein wenig zu mir, nur für einen Moment. Und wenn ich dich darum bitte? Sirenen bitten nicht. Komm zu mir. Wer bist du? Wer bist du, dass du dich mir widersetzt? Ja, wer bist du und wer bin ich und wohin? Wohin? Sage mir, hilf mir, trenn dich von deinem Woher und sage nur, Wohin, flüstere es mir zu, leise, dass nur ich es hören kann, ich möchte es gern wissen, WOHIN? Wartende sind wir und Suchende bleiben wir, gleichgültig, was wir tun und wohin wir gehen, denn wir wissen es nicht.

VIELLEICHT

Linien auf weißem Grund

Weiße Linien im weißen Raum, nur sichtbar

für das vertrauende Auge

Glaubst du

an die Linien im weißen Raum?

Ich sehe sie, manchmal

Siehst du, was ich nicht sehe?

Ich sehe was, was du nicht glaubst

zu sehen

Wir sehen gemeinsam vielleicht

nur das

was wir sehen wollen vielleicht

Die Zukunft, wie sie nicht ist, aber sein

kann

Vielleicht

Ein Wort zu tilgen aus allen Wörterbüchern

unseres Geistes

Ein Wort zu vergessen liegenzulassen abzugeben

im Fundbüro

Guten Tag ich hab da

ein Wort gefunden ich

will es nicht haben behalten Sie’s

Ich will es auch nicht lassen wir es

unauffällig verschwinden lassen Sie es

wie einen Unfall aussehen die Versicherung

wird schon zahlen

VIELLEICHT

Verklagen wir sie doch, die sind uns das

VIELLEICHT

schuldig

für immer schuldig geblieben sind sie

uns das

VIELLEICHT

Der Tag, an dem wir aufhören, einen Schatten zu werfen

Der Tag, an dem wir aufhören, einen Schatten zu werfen, wird ein heiterer Tag sein. Wir werden morgens aufwachen und etwas wird anders sein um uns und in uns. Etwas wird fehlen, aber wir werden nicht gleich wissen, was es ist, wir werden nur das diffuse Gefühl eines Verlustes haben, ohne dass wir zunächst genau wüssten, wem oder was es gälte und ob es etwas Gutes oder etwas Schlechtes sei, dass da auf einmal etwas nicht mehr ist oder da nur noch die Abwesenheit von etwas ist, das doch vorher da war oder da gewesen sein muss oder zumindest dagewesen sein könnte.
Wir werden unserem Tagwerk nachgehen und etwas wird weniger sein. Heute ist ein guter Tag, werden wir denken, denn die Arbeit geht uns etwas leichter von der Hand und auch das Herz ist nicht mehr ganz so schwer wie noch am Tag zuvor.
Und etwas wird fehlen und wir werden nicht einsam sein.